Fußballreisen nach England: Grimsby Town – Sing, when you’ re fishing!

Carsten Germann am Millerntor

Author: Carsten Germann
Published: 05.06.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside,

Das größte Fußballmärchen dieser FA-Cup-Saison war nicht das Finale mit Manchester City und Manchester United (2:1) am vergangenen Sonntag, nein. Grimsby Town fand im Viertelfinale und Duell zweier Küstenklubs in Brighton & Hove Albion aus der Premier League (0:5) seinen Meister. Doch den Mythos, der den League-Two-Klub umgibt, konnte in diesem Frühjahr mal wieder ganz Fußball-England greifen.

Der Klub vom Humber River, dessen Fans die raue Luft an der englischen Nordseeküste gewohnt sind, kennt Wind und Wetter und die Stürme des Fußballgeschäfts.

Trotz aller Widrigkeiten, die der Verein in den letzten 27 Jahren erlebt hat: Eine exotische Fußballreise nach England wäre ein Trip zur Landzunge zwischen dem Humber und der Nordsee, wo das Stadion Blundell Park liegt, allemal.

Hier ist der Grimsby Town Football Club zuhause, den ich vor 20 Jahren in mein fußballerisches Portfolio aufgenommen habe. An dieser Ecke zieht es zu jeder Jahreszeit wie Hechtsuppe, hier brauchen Stadionbesucher ein dickes Fell. Kaum ein anderer Klub auf der Insel hat so viel Höhen und Tiefen erlebt. Seit der Klubgründung 1878 und bis 2007 stieg Grimsby mehr als 20-mal auf und ab.

Den letzten Abstieg gab es 2021 aus der Football League Two, in der der nordenglische Klub 2022 direkt wieder aufstieg.

Fans von Grimsby Town auf dem Weg zum Stadion. Foto: Shutterstock

„Lieber zur Hölle als nach Grimsby“

Nicht eben zur Freude der Liga-Konkurrenten. Andere Klubs wollen es tunlichst vermeiden, in der gleichen Klasse wie Grimsby Town zu spielen. „Die meisten Fußball-Fans in England sagen, sie würden eher zur Hölle gehen als nach Grimsby zu fahren“, sagte mir Grimsbys Pressesprecher Tim Harvey einmal. „Wer hat schon Lust, sich an der Nordsee vom Wind durchschütteln zu lassen und sich nach beschwerlicher Fahrt über den Motorway 180 ein lausiges Match der First oder Second Division anzusehen?“ konkretisiert Dave, ein Hafenarbeiter aus Hamburg und Fan des unter dem Strich nicht wirklich erfolgreicheren AFC Sunderland (2003 und 2006 schlechtestes Team der Premier-League-Geschichte) den Horror vor Grimsby. Denn die 120.000-Einwohnerstadt im Nordosten Englands und insbesondere der knapp 600 Meter von der rauen See entfernte Blundell Park gelten auf der Insel als das Synonym für das Ende der (Fußball)-Welt und sportliche Verbannung.

Der Blundell Park ist ein enges, typisch englisches Stadion, das inmitten von schachbrettartig angelegten Wohnblocks liegt. Während des Krieges zog Grimsby 1944 vom heimischen Abbey Park in den bei den Fans unbeliebten Nachbar-Stadtteil, in das Seebad Cleethorpes, und verdarb es sich damit bei weiten Teilen der Anhängerschaft für alle Zeiten.

Der Blundell Park von Grimsby Town. Bild: Imago-Images

Wer Fisch mag, ist in Grimsby bestens aufgehoben. Die Stadt ist berühmt für ihre Fish & Chips, die man am besten im Hafen und direkt vom Zeitungspapier serviert zu sich nimmt. Rund 30 Fisch-Imbisslokale soll es in der Hafenstadt geben. Zu den bekanntesten gehört das „Pea Bung“, ein Café-Restaurant im Freeman Street Market mit legendärem Ruf. Hier gibt es für die im Stadion meist frierenden Grimsby-Fans heißen Tee, Brot und Butter gratis zum bestellten Essen dazu. Soweit der kulinarische Teil.

Sportlich zeichnet sich die Anhängerschaft von Grimsby Town durch eine außerordentlich hohe Leidensfähigkeit aus. Die beste Platzierung der „Mariners“ datiert noch aus Vorkriegszeiten: Ein fünfter Platz in der First Division 1934 als Aufsteiger. Hurra.
Selbst in den Jahren unter Trainer Bill Shankly, der später beim großen FC Liverpool zur Legende wurde, konnte Grimsby zwischen 1951 und 1954 nicht glänzen. Grimsby wechselte oft die Ligen – und die Details ersparen wir uns.

„You only sing, when you`re fishing“

Bleiben wir auf den Rängen. Grimsbys Fans gelten äußerst kreativ und sie spielen gesanglich mit der Fisch- und Fußballtradition ihres Teams. Ist es im Stadion gar allzu ruhig, provoziert man den Rest der einheimischen Zuschauer schon mal mit „You only sing, when you’re fishing.” Grüße nach Port Vale zu Robbie Williams!

Eine nette Marketing-Idee hatte der Lokaljournalist Nigel Lowther von der Zeitung Grimsby Evening Telegraph im Jahr 1989. Es war die Saison, in der Grimsby im FA Cup von sich reden machte. Dass die Fans bei den Erfolgen über Manchester City, den FC Middlesbrough und den FC Reading aufblasbare Bananen schwenkten, störte Lowther dann irgendwie doch. Er bestellte daher in London und pünktlich für das nächste Spiel gegen Cup-Verteidiger FC Wimbledon („The Crazy Gang“ / ist im 35. Jubiläumsjahr ihres FA-Cup-Sieges ein eigenes Kapitel wert…) aufblasbare Schellfische.

Das neue Maskottchen erhielt den Namen „Harry, the Haddock“ („Harry, der Schellfisch“). Mehr als 2.000 Plastikfische wurden damals zum Spiel an der Plough Lane gegen Wimbledon verkauft.
Zurück in die Gegenwart. Wirklich viel verändert hat sich in Grimsby nicht. Außer, dass seit 2019 einige traditionelle Fan-Pubs wie das „Mariner’s“ schließen musten.
Gut, Platz 15 in der viertklassigen Football League Two ist jetzt nichts, womit man am Blundell Park angeben kann (das geht wohl eher mit der exklusiven Lage des Stadions direkt an der Nordsee…), aber im FA Cup sorgte Grimsby Town für Furore.

Zum letzten Mal hatte man 1996 die 5. Runde erreicht, also vor einer gefühlten Ewigkeit – 0:0 und 1:4 im Replay gegen den FC Chelsea.

Das Viertelfinale im FA Cup hatte Grimsby zuvor noch nie gebucht. „Eine ganze Generation von Fans hat so etwas noch nie gesehen“, sagte Grimsby-Präsident Jason Stockwood nach dem Pokal-Coup gegen den Premier-League-Klub FC Southampton, „die Stimmung und unsere Leistung waren fantastisch.“

„Der Star ist der Schellfisch“

An Harry, dem Schellfisch kommen wir auch im Jahr 2023, also über 30 Jahre nach der fischigen Aktion in Wimbledon, nicht vorbei. Die Plastik-Schellfische werden dieses Mal im Grimsby-Fanblock im St. Mary’s Stadium geschwenkt.
Allerdings gilt 2023 nicht mehr „Der Star ist der Schellfisch“, sondern der Star ist Harry, der Regisseur. Der walisische Mittelfeldspieler Harry Clifton brachte den FA-Cup-Erfolg mit 5 Tor-Beteiligungen (2 Treffer) auf den Weg.
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Carsten Germann am Millerntor

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.

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